Sprotte brauchte einen Job.
Seine Mutter hatte ihm die finanzielle Unterstützung gestrichen, die sie ihm bei Anfang seines Studiums zugesagt hatte. Allerdings hatte Sprotte sein Physikstudium bereits nach einem halben Semester abgebrochen. Er war der Überzeugung, sein IQ wäre zu hoch, weil er sich langweilte.
Er blieb jedoch noch 13 Jahre immatrikuliert. Hilfe leistete ihm ein zwielichtiger Osteopath aus Kasachstan, welcher im Erdgeschoss seines Mietshauses residierte. Gegen einen kleinen Obolus stellte er diverse Atteste und Freistellungen aus.
Der Bogen, den er seitdem überspannte, brach am letzten Weihnachtsfest.
Sein Neffe bekam einen Zauberkasten geschenkt. Als sein Schwager ihm zu viele Fragen nach Zaubertricks stellte, die auf Physik basieren, brach Sprotte in Tränen aus.
Er beichtete schluchzend seinen großen Bluff. Seine Mutter half ihm beim Naseputzen.
So kam Sprotte in die Verlegenheit sich einen Job suchen zu müssen.
Sprotte war nicht der Typ Angestellter. Er konnte mit dieser Business-Welt nichts anfangen. Anzug tragen und pünktlich sein. Das war einfach nicht er.
Er wollte auch mal mit dem Einrad zur Arbeit kommen. Oder in der Pause wandern gehen. Kleidungstechnisch war bei ihm so oder so jeder Tag Fasching.
Das fällt bei einem 9 to 5 Job auf.
So fielen viele Jobs durchs Raster. Sein Traumberuf Paketzusteller war nicht möglich, da er weder einen Kfz noch einen Fahrradführerschein hatte. Letzterer wurde ihm in der 4. Klasse entzogen, weil er die bestandene Prüfung mit einem Wheelie feiern wollte. Leider auf einer Kreuzung und leider bei rot und leider vor den Augen seines Lehrers.
So war er ganze 7 Minuten im Besitz eines Fahrradführerscheines.
Entgegen Knetes Meinung und der einiger befragter Verkehrspolizisten, war Sprotte der Überzeugung, dass beim Fahren ohne Fahrradführerschein umgehend Einzelhaft drohte.
Seine erste Idee, sich mit einem Laden für Haferflocken selbstständig zu machen, scheiterte an Knetes energischem Veto und am Mangel an Geschäftspartnern.
Knete hatte jedoch aus fragwürdiger Quelle ein Stellenangebot für ein Callcenter gefunden. Weil Sprotte nichts zu verlieren hatte und die einzige Qualifikation, nämlich deutsch zu sprechen erfüllte, bewarb er sich.
Um 13:00 morgens erschien er beim Vorstellungsgespräch. Er war zwar um 7 aufgestanden, jedoch in der Dusche im Stehen wieder eingeschlafen. Der Briefträger hatte ihn dann um 12:23 endgültig geweckt.
Dass das Gespräch im Hinterzimmer einer Tankstelle stattfand und einer seiner Chefs eine Augenklappe trug, beunruhigte Sprotte nicht.
Er sollte telefonisch Rollschuhe an den Mann bringen. Das Sortiment würde sich wöchentlich ändern. Die Verkaufsgespräche liefen stets nach demselben Schema ab. Sprotte sollte sich nur an einen vorgefertigten Gesprächsfaden halten, nicht nuscheln und kein Kaugummi kauen. Er sollte schnellstmöglich anfangen. Knete gratulierte ihm überschwänglich: „Geil Sprotte! Besorgst du mir dann auch so Rollschuhe?“
„Klar“ antwortete er. Er war froh und auch ein wenig stolz.
Am nächsten Tag stand Sprotte jedoch vor verschlossener Tür – das BKA hatte seinen neuen Arbeitsplatz hochgenommen.
Systematischer Betrug. Im großen Stil. Neben Rollschuhen hatten sie nämlich noch Lebensversicherungen, Schrottimmobilien und zweifelhafte Aktienoptionen im Sortiment. Er nickte dem Einäugigen zu, der gerade in Handschellen abgeführt wurde, nahm sich unbemerkt ein paar Rollschuhe aus einem der sichergestellten Kartons, machte hastig kehrt und ging wieder Richtung Bahnhof.
Das war Sprottes erster Ausflug in die Arbeitswelt. Na ja diesen Monat hatte Mama die Miete ja noch überwiesen…